Fernschule für Tontechnik & Musikproduktion

Tonmeistertagung 2021 – aktuelle Tontechnik-Trends und Entwicklungen

Die zweijährlich veranstaltete Tonmeistertagung (TMT31) des Verbands Deutscher Tonmeister*innen ist die wichtigste Veranstaltung für die deutschsprachige Tontechnik-Branche und findet im Zeitraum vom 3. – 6. November 2021 im Congress Center Düsseldorf statt. Vor Ort tauschen sich Audioprofis, Produzenten, Hersteller, Ausrüster, Entwickler und Wissenschaftler über die neusten Trends und Produkte, den aktuellen Forschungsstand und die Anwendungspraxis der Tontechnik-Branche aus – und HOFA ist natürlich auch mit dabei! Dabei stehen dieses Jahr folgende Themen besonders im Fokus: Immersive Audio, VR/AR, Ambisonics und objektbasiertes Audio. Aber natürlich werden auch Neuerungen in den Bereichen Akustik, Mastering, Game Audio, Mikrofonierung, Live Sound, Broadcast, Streaming etc. auf der Fachtagung besprochen.

Christoph und Julian vom HOFA-College berichten euch hier tagesaktuell von der Tonmeistertagung:

Tag 1 (Mi, 03.11.)

Los geht es mit der TMT31! Man trifft wieder viele bekannte Gesichter der Branche und spricht über die ein oder andere Produktneuheit. Wir freuen uns besonders auf die Workshops und Technik-Talks, die neben dem Messe-Teil natürlich den Kern jeder guten Tagung ausmachen. Das Konferenzprogramm richtet sich nach den aktuellen Themen der Audiowelt: „Next Generation Audio“ in allen Facetten. Wer hätte es gedacht? Egal wohin man schaut: Alles entfernt sich von klassisch kanalbasierten Formaten.

Philipp Eibl vom Fraunhofer IIS klärte zum Beispiel über Authoring-Tools des neuen Audio-Standards MPEG-H auf, der unter anderem immersive und objektbasierte, aber vor allem auch individualisierbare Audio-Erlebnisse ermöglicht. Wir erfuhren über die Vor- und Nachteile verschiedener Mikrofonierungsmethoden bei der Herstellung binauraler Raumimpulsantworten (BRIR), mit deren Hilfe Raumakustik virtuell abgebildet werden kann (sowohl die Position des Hörers als auch der Schallquelle wohlgemerkt).

Ein eigens eingerichteter Immersive-Audio-Raum bringt Hörpraxis in Surround und 3D-Audio, sprich so ziemlich alles, was über Stereo hinaus geht. Wir bekamen unter anderem Live-Mitschnitte der WDR Big Band, Gustav Mahlers 5. Sinfonie und exquisite Jazz-Studioaufnahmen in 3D auf die Ohren. Ein kleines Highlight waren auch die exklusiven Einblicke in eine von Eric Horstmanns originalen Dolby Atmos Mixing-Sessions aus dem aktuellen Helene Fischer Album („Rausch“), also feinstes 3D mit Praxiseinblick quer durch alle Genres und mit durchaus unterschiedlichen Herangehensweisen und Zielsetzungen.

Abgerundet wurde unser Auftakt der TMT31 schließlich mit einem improvisierten Live-Konzert des Münchner Elektronik-Duos „Ströme“ an ihren Modular-Setups, begleitet von Andrew Levine an Theremin und Continuum. Experimentell, aber tanzbar!

Tag 2 (Do, 04.11.)

Bei dem großen Angebot an Showrooms, Messeständen und parallelen Fachvorträgen in 6 unterschiedlichen Räumen, muss man zwangsläufig auf Programmpunkte verzichten. Wir haben uns für einen 3D-Marathon entschieden und wir wurden nicht enttäuscht!

Den Auftakt machte Lasse Nipkow mit einer ausführlichen Einführung in binaurale Wiedergabe- und Aufnahmetechnologien und spannenden Hör-Demos. Anschließend übernahm Hans-Martin Buff die Moderation und lud zum Roundtable zum Thema „Binauralisierer“ mit Tom Ammermann (New Audio Technology), Christian Sander (Dear Reality) und David Ziegler (Dolby) ein. Besprochen wurden vor allem die zugrunde liegenden Technologien und die Tücken bei der Entwicklung von Binauralisierer-Tools. Besonders spannend war dabei die Gegenüberstellung konkurrierender Anbieter und Philosophien.

Nach kurzer Kaffee-Pause folgte der Hauptteil des 3D-Binaural-Workshops, in dem Hans-Martin Buff umfänglich, aber kurzweilig kreative Binaural-Techniken in der Pop-Musik präsentierte. Die klanglichen Eigenheiten, Vor- und Nachteile verschiedenster Binauralisierer und 3D-Mikrofontechniken, sowie deren Kombination, Einsatz und Routing wurden anhand zahlreicher Anwendungsbeispiele präsentiert.

Neben binauralisierten Beatles-5.1-Mixes waren exklusive Einblicke in die 3D-Drum-Reamping-Session der aktuellen Scorpions-Single und 808-Signale aus dem Konzertsaal nur zwei der zahlreichen Highlights des Tages. Kurz: Viele, viele Mikrofone und noch mehr Spuren!

In einer abschließenden Talkrunde trafen Vertreter von Dolby, Sony, Fraunhofer und Sennheiser aufeinander, um über die Zukunft und die Einsatzmöglichkeiten von 3D-Audio von der Kreation bis zum Endverbraucher zu sprechen. Mit zentraler Bedeutung ist in diesem Kontext natürlich immer wieder die Frage der Übersetzbarkeit künstlerischer Intention in die unterschiedlichsten Konsumformen vom Kopfhörer über Smartspeaker, Soundbars, Auto-Anlagen und Surround-Setups aufgekommen.

Tag 3 (Fr, 05.11.)

Den heutigen Morgen haben wir mit einer Listening Session mit dem Team von Fraunhofer IIS begonnen. Sennheiser Ambeo Soundbars, Sony HT-A9 und co. bringen MPEG-H und Dolby Atmos ins Wohnzimmer und klingen nach einem einfachem, automatischem Einmessvorgang auch in suboptimaler Umgebung beeindruckend groß und umhüllend.  Und das Ganze nicht nur 3D, sondern auch individualisierbar – Next Generation eben. (Die Soundbar gewinnt klanglich übrigens das Rennen, was aber auch am Preis spürbar ist…)

Danach ging es zur ersten „Talk Back“ Runde des Tages: Tonmeister Andrew Levine sprach in gewohnt unterhaltsamer Manier unter dem Motto „Oops“ über Pannen, Missgeschicke, Fehler und Restaurationsmaßnahmen im Tonmeisteralltag. Fehlerkultur vom Feinsten!

Anschließend standen zwei Beiträge zum Thema Mastering auf unserem Programm. Mastering Engineer Henning Birkenhake berichtete praxisnah in Form von Selbstversuchen und verglich die eigene Arbeit mit dem automatischen Online-Mastering-Service LANDR. Mutig, denn das Ergebnis waren erstaunlich knappe Umfrage-Resultate!

Danach ein weniger subjektives Mastering-Thema: Filmmischtonmeister Karl Gerhardt stellte die Ergebnisse seiner Masterarbeit vor, die sich um den Vergleich von integrated Dialogue-gated Loudness Messungen für Filme und Serienformate über verschiedene Plattformen und Genres hinweg beschäftigte, die zunehmend von VoD-Diensten eingesetzt werden sollen und die Programmlautheit in Abhängigkeit von Dialogpassagen betrachten. Hard facts für Dynamikverhältnisse, die deutlich mehr künstlerischen Spielraum lassen als „steifere“ Reglements wie EBU R128 und co.

Danach eins meiner persönlichen Highlights des Tages und geballte 3D-Mixpraxis: Ein weiterer Besuch im immersive room, in dem uns Wilfried Van Baelen (Gründer der Galaxy Studios und Erfinder von Auro 3D) einige wunderbare 3D-Musikmischungen von Big Band bis Pop zeigte und auf charmante Art und Weise mit Stefan Bock (MSM-Studios) verschiedene Arbeitsweisen und potentielle Problemquellen bei der Erstellung professioneller 3D-Musikmischungen besprach.

Jochen Veith von JV-Acoustics hielt anschließend im kleinsten Saal einen sehr informativen Vortrag über die komplexen Planungsstufen großer Studiobauprojekte. Besonders beeindruckend waren die hochpräzisen akustischen Vorberechnungen und die tiefen Einblicke in die Planungs- und Bauphasen exklusiver Kundenprojekte und Top-Adressen wie etwa den Max Martin-Studios in Stockholm, 301-Studios in Sydney oder Wisseloord in Hilversum.

Den Abschluss unseres Tagesprogramms machte schließlich der Psychologe und Filmmischtonmeister Bernd Schreiner mit dem Thema „Psychologie kreativer Teamarbeit“. Kernaussage: „Soft Skills gibt es nicht.“ Für kreativ kooperierende Teams sind soziale und personale Kompetenzen den fachlich erworbenen „Hard Skills“ mindestens ebenbürtig!

Selbstverständlich ist ohne Feierlichkeit kein Branchentreffen komplett, also gab es am Abend noch ein großes Get Together mit einer Modularsynth-Live-Performance des Duos „Ströme“, teilweise begleitet durch Andrew Levine am Continuum.

Tag 4 (Sa, 06.11.)

Der vierte und letzte Tag der TMT31 hat begonnen und fängt für uns mit einem wissenschaftlichen Vortrag von Reinhard Kopiez, Professor für Musikpsychologie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover an. Thema waren die Messmethoden und Ergebnisse seines Teams zur emotionalen Wirkung binauraler Tonmischungen. Marco Krämer übernahm anschließend das Rednerpodest mit einer ganz ähnlichen Untersuchung, jedoch spezifisch im Hinblick auf dramaturgische Hörspielprodukte.

Essenz beider Vorträge: Es ist nicht nur schwierig, die emotionale Wirkung reliabel zu vergleichen, sondern vor allem bereitet es ungeahnte Schwierigkeiten, valide Datenpunkte zu ermitteln.

Beide Untersuchungen kamen jedoch zum Ergebnis, dass binaurale Mixing-Ansätze bei einem Großteil der Probanden eine verstärkte emotionale und räumliche Wirkung erzeugen (auch bei gemittelten HRTFs übrigens).

Anschließend besuchten wir einen Vortrag von Dr. Ulli Scuda vom Fraunhofer IIS zur Anwenderseite personalisierter Rundfunk- und Multimedia-Angebote, basierend auf dem MPEG-H-Format (wie sie bereits jetzt in unterschiedlichen Konstellationen zum Einsatz kommen). Auch die Umsetzung in der Live-Übertragung und die Authoring-Aspekte der Post Production wurden behandelt.

Dicht gefolgt wurde dies von einer weiteren Präsentation, diesmal von Jan Müller von der Firma Dolby, der den aktuellen Stand und die Implementierung personalisierbarer Inhalte auf Basis der Dolby Atmos-Technologie demonstrierte. Nicht nur aus Gründen der Gegenüberstellung der zwei konkurrierenden Formate interessant!

Anschließend besuchten wir ein weiteres Mal den Demo-Room des Fraunhofer Instituts, um uns von Philipp Eibl ausführlich den MPEG-H-Authoring-Workflow erklären und all meine offen gelassenen Detailfragen beantworten zu lassen. Eine sehr durchdachtes Set an kostenlosen Tools ermöglicht sowohl die Vorbereitung von Live-Übertragungen, das Monitoring und Tagging, sowie „objektifizierende“ Aufbereitung von Archivmaterial.

Zu guter Letzt die Krönung des Tages und eine Art „Belohnung“ für alle, die bis zur letzten Veranstaltung der TMT31 geblieben sind:

Wilfried Van Baelen hat nahmhafte Interviewpartner der immersiven Mixing-Welt eingeladen und in einer Audio-/Video-Demo einige Arbeiten und technologische Herangehensweisen gezeigt. Es war nicht nur eine seltene Gelegenheit, legendären Mixing Engineers über die Schulter zu sehen, sondern vor allem auch einen tiefen Einblick in die 3D-Arbeitsweisen von Grammy-Engineers zu erhalten.

Wir hörten unter anderem wunderbare, immersive Werke von Alicia Keys und Jimmy Jam & Terry Lewis. Am meisten beeindruckt hat uns aber die Präsentation von George Massenburgs riesigen Mixing Templates (die Effekt- und Hallkanäle gehen in die Hunderte!) und Ronald Prents einzigartigem, hybriden Mixing-Workflow, der eine 64-Kanal-Analogkonsole und ein 11.1-Lautsprecher-Rig beinhaltet und es ermöglicht, zeitgleich Mischungen in Stereo, Surround, Auro 3D, Dolby Atmos und Sony 360 RA auszuspielen. Nichts für Routing-Anfänger!

Das war unser Live-Bericht von der TMT31. All around eine sehr gelungene Veranstaltung mit vielen spannenden Gästen und Talks. Wir freuen uns schon auf die TMT32 und darauf, den ein oder anderen Menschen wieder zu treffen.

Autor

Christoph Thiers
Christoph Thiers
Christoph Thiers ist seit über 15 Jahren in der Musikbranche tätig und hat hunderte Produktionen verschiedenster Genres als Recording, Mixing und Mastering Engineer begleitet. Zu seiner breit gefächerten Vita zählen Künstler wie Die Fantastischen Vier, Sarah Connor, Birdy, Nathan Evans, RAF Camora und Boris Brejcha, sowie zahlreiche Auszeichnungen und Chartplatzierungen. Neben Musikproduktion und Studio Management beschäftigt er sich u.a. mit neuen Medienformaten und Artist Development, berät Indie Labels, Künstler und Startups und war an mehreren Software Entwicklungen für die professionelle Musikproduktion beteiligt. In den letzten Jahren hat sich Christoph verstärkt auf immersive Musikproduktion spezialisiert und betreut u.a. Dolby Atmos Mixes für internationale Labelkunden und namhafte Indie Artists.

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