Von italienischer Oper bis East Coast Battle-Rap, von der lieblichsten Pop-Ballade bis zum bedrohlichsten Growl: Seit es Musik gibt, hat die menschliche Stimme in ihr einen besonderen Stellenwert. Der Gesang überträgt nicht nur die textliche Botschaft, sondern auch einen Großteil des emotionalen Gehalts eines Songs. Kein Wunder: Wir lernen schließlich von klein auf, die feinsten emotionalen Schwingungen und Modulationen in der menschlichen Stimme auszuwerten.
Manche (ich gehöre dazu) behaupten sogar, dass man in der Populärmusik häufig mit einer durchschnittlichen Gesamtproduktionsqualität durchkommt, wenn nur die Vocals professionell produziert sind und die Rhythmusgruppe die richtige Wirkung erzeugt.
Vocal-Produktion heißt aber nicht „einfach aufnehmen“! Der gestalterische Einsatz stimmverändernder Effekte ist schließlich nicht erst seit Chers „Believe“ fester Bestandteil der Popmusikproduktion. Von Laien häufig gar nicht wahrgenommen, erkennt das geschulte Ohr in Produktionen querbeet durch sämtliche musikalische Genres den kreativen Eingriff des Tonmeisters, der – mal mehr, mal weniger subtil – das Klangbild mitgestaltet.
Kein Wunder also, dass die Vocal-Produktion einen besonderen Stellenwert in der modernen Musikproduktion einnimmt und nicht selten ein kleines Vermögen für die passenden Geräte ausgegeben wird, um genau das richtige Ergebnis einzufangen, das der jeweiligen Stimme schmeichelt und perfekt zur gewünschten musikalischen Wirkung passt.
Was gehört überhaupt dazu?
So groß der Einfluss von Akustik, Gesangstechnik, Mikrofonplatzierung, Editing und Mischung auch ist – wenn von einer Vocal-Chain gesprochen wird, sind in der Regel die technischen Komponenten der Aufnahmekette gemeint. Das sind im einfachsten Fall ein Mikrofon, ein Kabel und ein Audio Interface, kann aber auch mehrere Mikrofone, Verstärker, Kompressoren, Hallgeräte, Tonbandgeräte, Equaliser und sorgfältig ausgewählte Wandler und Taktgeneratoren beinhalten; von Effekten wie Auto-Tune, Vocoder, Pitch-Shifter, Harmonizer, Chorus usw. ganz zu schweigen. Kurz: Es kann durchaus komplex (und auch teuer) werden!
Um aus akustischen Schallwellen zuerst elektrische Wechselspannung und dann digitale Daten zu erzeugen, die man aufzeichnen kann (wir ignorieren an dieser Stelle rein analoge Aufnahmepraktiken), sind insgesamt zwei Wandlungen notwendig. Die erste macht das Mikrofon, die zweite ein Digitalwandler. Damit sich die beiden hinsichtlich Pegel und Impedanz gut vertragen, macht ein Mikrofonverstärker den Rest.
Genau genommen besteht natürlich auch das einfachste Desktop-Interface aus Vorverstärker und Wandler, die der Einfachheit halber in einem Gehäuse zusammengefasst werden. In manchen Fällen werden diese beiden Komponenten sogar im Mikrofongehäuse untergebracht (sog. „Digitalmikrofone“). Viele professionelle Tontechniker:innen schätzen jedoch die Möglichkeit, verschiedene Geräte frei kombinieren zu können, um maximale Kontrolle bei der Klanggestaltung zu haben.
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Wie groß ist der Soundeinfluss welchen Geräts?
Nun hat man in der Praxis selten die Möglichkeit, hunderte Mikrofone, Verstärker, Kompressoren, Wandler und Co. miteinander zu vergleichen und die mitunter komplexen Wechselwirkungen zu erforschen und unser:e Test-Vokalist:in wird wahrscheinlich (völlig zurecht) spätestens beim zehnten Umstöpseln wutentbrannt das Studio verlassen. Es ist also sinnvoll, den Einfluss der verschiedenen Elemente in der Aufnahmekette realistisch einschätzen zu können, damit man weiß, wo man ansetzen kann. Praktische Gehörschulung ist zwar durch nichts zu ersetzen, dennoch möchte ich dir hiermit eine grobe Orientierung geben, auf der du mit deiner eigenen Erfahrung aufbauen kannst.
1. Mikrofon
Die Wahl des richtigen Mikrofons hat in der Vocal-Chain (zumindest auf technischer Seite) den größten Einfluss. Logisch, schließlich können alle nachfolgenden Geräte klanglich nur auf dem Signal aufbauen, das das Mikrofon zur Verfügung stellt. Mikrofone gibt es in verschiedenen Bauformen, mit unterschiedlichen Richtcharakteristiken, Frequenzgängen und Dynamikumfängen. Das Mikrofon sollte immer so gewählt werden, dass es dem gewünschten Endergebnis so nah wie möglich kommt, da es häufig kaum noch möglich ist, eine ungünstige Mikrofonwahl in der Postproduktion in ein professionelles Produkt zu verwandeln. Es lohnt sich daher, Zeit und Geld in die Wahl des Gesangsmikrofons zu investieren und nach Möglichkeit eine kleine Auswahl zur Verfügung zu haben, um direkte Vergleiche zu ermöglichen.
Übrigens ist das teuerste Mikrofon nicht immer das beste. Die optimale Wahl hängt von verschiedenen Faktoren ab und kann für jeden Vokalisten oder Songteil unterschiedlich sein.
2. Vorverstärker
Vorverstärker, auch Preamps genannt, sind eine von Einsteigern häufig unterschätzte Komponente der Signalkette. Sie haben oft einen eigenen charakteristischen Klang, der durch Eingangs- und Ausgangsübertrager, charakteristische Verstärkerkomponenten und das Schaltungsdesign bestimmt wird. Mindestens ein ordentlicher Vorverstärker ist Pflicht, aber in eine Auswahl zu investieren, lohnt sich normalerweise erst dann, wenn bereits ein kleiner Fuhrpark an unterschiedlichen Mikrofonen angesammelt wurde. Für den Anfang reicht auch der eingebaute Mikrofonvorverstärker eines Mittel- bis Oberklasse-Audio-Interfaces.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Vorverstärker eine Wechselwirkung mit dem angeschlossenen Mikrofon eingehen. Die elektrotechnischen Details erspare ich dir an dieser Stelle, aber du solltest wissen, dass ein Mikrofon an einem anderen Verstärker u.U. einen völlig neuen Charakter entfalten kann, was primär auf die Eingangsimpedanz des Verstärkers zurückzuführen ist. Viele Vintage-Preamps besitzen z. B. eine deutlich geringere Eingangsimpedanz als moderne Verstärker, was einen Einfluss auf das Verhalten des angeschlossenen Mikrofons hat. Manche Preamps bieten deshalb eine umschaltbare Eingangsimpedanz an, um in einem Vorverstärker zwei Sounds abrufen zu können.
Übrigens: Achte darauf, wie dein Vorverstärker in unterschiedlichen Verstärkungsbereichen klingt. Häufig lösen vor allem günstigere Preamps im untersten und oberen Viertel des Verstärkungsbereichs deutlich schlechter auf und es kann sinnvoll sein, den Pegel digital in der DAW anzuheben, um den „Sweet Spot“ des Preamps nutzen zu können.
3. EQ/Kompressor
Wenn es um die Klangbearbeitung geht, gehen die Workflows mitunter stark auseinander. Manche bevorzugen die Aufzeichnung eines völlig unbearbeiteten Signals, andere streben bereits ein möglichst finales Ergebnis an. Das ist auch von der jeweiligen Situation abhängig, ein Nonplusultra gibt‘s hier nicht.
Für den kleinen Geldbeutel und/oder Engineers mit wenig Berufserfahrung ist es jedoch generell sinnvoll, sich erst einmal auf Mikrofon, Preamp und Wandler zu beschränken. Konzentriere dich erst einmal voll auf die Session und die Performance! So ersparst du dir lange Einstellzeiten, nerviges Umstecken und schützt dich vor versauten Aufnahmen, falls ein Kompressor (oder was auch immer) doch ungünstig eingestellt wurde. Wenn du dann genügend Erfahrung gesammelt hast, wirst du selbst einschätzen können, welche Geräte für deine Arbeitsweise und klanglichen Vorlieben sinnvoll sind. Normalerweise ist das erstmal eine sorgfältig ausgewählte Kombination aus EQ und Kompressor, die optimal zu den Anforderungen passt, mit denen du am häufigsten konfrontiert bist.
Von De-Essing würde ich bei der Aufnahme die Finger lassen. Wenn Hall oder Echos aufgenommen werden, sollten diese auf einer separaten Spur aufgezeichnet werden, um sie später im Mix zu bearbeiten oder zu ersetzen.
Übrigens: Achte auf die Reihenfolge deiner Klangbearbeitung! Beispielsweise liefert ein Kompressor andere Ergebnisse, wenn du das Signal schon vorher mit dem EQ bearbeitest.
4. Wandler
Ja, auch Wandler haben einen Klang. Allerdings arbeiten selbst günstige moderne Digitalwandler in der Regel auf einem so hohen Niveau, dass der Klangeinfluss im Vergleich zu den anderen Faktoren vernachlässigbar ist.
Solange du es nicht mit einer Fehlbedienung oder einem Defekt zu tun hast und der Wandler aus diesem Jahrhundert stammt, ist es unwahrscheinlich, dass eine fantastische Aufnahme durch den Wandler versaut wird (was bei Mikrofon, Kompressor und co. durchaus passieren kann!). Wenn du aber schon alle anderen Aspekte deiner Vocal-Chain bis ins letzte Detail verfeinert hast und immer noch Lust auf Technik hast, kannst du dich in die Welt der Wandler und Taktgeber vorwagen, um dort die letzten Details rauszuholen. Hier greift allerdings schnell die berühmte „Law of diminishing returns“: Für 1 % Verbesserung kann sich der Preis verzehnfachen.
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass es Digitalwandler mit Übertragern oder sogar Tape Emulations u.ä. gibt, die den Klang bewusst beeinflussen – das ist natürlich was anderes und man kann diese Geräte durchaus klanggestalterisch einsetzen, aber natürlich ist es nicht der Wandler selbst, der für den Sound verantwortlich ist.
Übrigens: Da Wandler und Interface in der Praxis oft in einem Gerät zusammengefasst sind, ist es sinnvoll, die digitalen Schnittstellen vorrangig unter den Gesichtspunkten Workflow und Kompatibilität auszuwählen. Mach dir also erstmal nicht allzu viele Gedanken über Wandlersound und Qualität, sondern frage dich z. B. lieber, wie viele Kanäle und welche Anschlüsse du brauchst, ob du integrierte DSP-Effekte gebrauchen kannst oder ob das Setup mobil sein soll.
Und FX?
Kreativ-Effekte sind extrem vielfältig und werden mitunter so dominant eingesetzt, dass sie in der Tat den Klangeinfluss aller oben genannten Komponenten übertrumpfen können. Wird die Stimme z. B. anschließend durch einen Vocoder gejagt, ist der Einfluss der Mikrofonvorverstärkers vernachlässigbar und die feinen Obertonfärbungen des Hardware-Kompressors spielen eventuell kaum noch eine Rolle, wenn man die Vocals anschließend High Gain durch den Marshall schickt. Dennoch: Jedes färbende Gerät in der Tontechnik hat eine gewisse Abhängigkeit vom Eingangssignal und die Reihenfolge ist von hoher Relevanz, hier lässt sich also der Einfluss kaum verallgemeinern.
Natürlich erlaubt der Rahmen eines Blogbeitrags nur eine grobe Übersicht zur Thematik. Ich hoffe trotzdem, dass der Artikel dir einen guten Überblick geben und dir bei der Auswahl und Zusammenstellung deiner eigenen perfekten Vocal-Chain helfen konnte, sodass du dich aufs Wesentliche konzentrieren kannst: deine Musik!
Wie sieht die Vocal-Chain deiner Träume aus? Bist du auf der stetigen Suche nach klanglicher Perfektion oder soll es vor allem günstig und einfach in der Bedienung sein? Teile gerne deine Ideen und Lieblingsgeräte mit uns in den Kommentaren!
Eine Antwort
Ich verwende am liebsten ein Neumann U87 (von 1984), zusammen mit einem Beyerdynamic M160 (schöne Bässe!). Beide Mics dann durch nen (zweikanaligen) Neve 1073 DPA. Manchmal schicke ich den Output Kanal vom U87 auch noch durch einen UA 1176. Weltklasse Sound!