Joe Barresi ist einer der führenden Mixing und Recording-Engineers in den Genres Alternative Rock, Metal und Punk. Mit seinem kraftvollen, harten Sound, der auch als „Wall of Rock“ beschrieben wurde, hat er den Klang vieler klassischer Alben dieser Genres geprägt. Im Laufe seiner 30-jährigen Karriere hat Barresi mit einigen angesehenen Produzenten wie David Kahne, Michael Beinhorn, Rob Cavallo und Sylvia Massy zusammengearbeitet.
Joe Barresi
Audio Engineer & Produzent
Los Angeles, USA
Grammy-nominiert, mehrfach Gold und Platin
Credits: Tool, Queens of the Stone Age, Slipknot, Judas Priest, Melvins …
Heute arbeitet Joe Barresi in seinem eigenen Studio in Los Angeles, Joe’s House of Compression, das neben einer SSL 4000G+-Konsole und dem allgegenwärtigen Pro Tools-Rig eine extravagante Sammlung verschiedener Boxen, Gitarren, Verstärker und zahlloser Outboard-Geräte beherbergt, die Barresi bei seiner Suche nach neuen Sounds einsetzt.
Als Produzent sieht Joe Barresi seine Aufgabe darin, die Vision der Band zu verwirklichen und die authentische Performance eines Künstlers einzufangen. Mit seinen einzigartigen Aufnahmetechniken strebt er einen unverwechselbaren Sound an, den man bei niemandem sonst findet und der jede Produktion außergewöhnlich macht.
Joe ist ein absolut netter Typ und war so freundlich, im Studio Talk mit HOFA-Tutor und Audio Engineer Christoph Thiers über seine Aufnahme-, Misch- und Produktionstechniken zu sprechen. Joe hat uns auch einige Tipps und Techniken verraten, die Audio Engineers, die am Anfang ihrer Karriere stehen, dabei helfen können, ihren eigenen, unverwechselbaren Sound zu finden.
Christoph (HOFA): Ich würde gerne ein wenig über Gitarren und Gitarrenaufnahmen sprechen. Du hast erwähnt, dass du ein klassisch ausgebildeter Gitarrist bist. Wenn man sich all die großartigen Platten anschaut, die du bisher gemacht hast, gibt es auch eine Menge sehr gitarrenorientierter Musik. Du hast gesagt, dass Re-Amping ein Teil deines Prozesses ist. Was wäre also dein Rat, wenn es um die Aufnahme von Gitarren geht?
Joe: Mein Rat ist vor allem, zunächst nur ein einziges Mikrofon zu verwenden – egal, welches Mikrofon du verwendest: Lass die Phasenlage zunächst aus dem Spiel. Verwende nicht zwei Mikrofone und versuche, diese zu kombinieren, bevor du das im Griff hast. Verwende ein Mikrofon – und bewege es. Das Dynamount-System ist dafür hervorragend geeignet, aber wenn das außerhalb deiner finanziellen Möglichkeiten liegt, geh in den Aufnahmeraum und verschiebe das Mikrofon: einen Zentimeter nach links, einen Zentimeter nach hinten, zwei Zentimeter nach hinten usw. – verbringe deine freien Tage damit, dir solche Sachen anzuhören. Verwende ein DI-Signal, das du aufgenommen hast, für das Re-Amping einer Gitarre und achte darauf, wie das Mikrofon klingt, wenn es einen Zentimeter off-axis ist, oder wenn es auf die Lautsprechermembran oder auf den Rand des Lautsprechers gerichtet ist. Höre dir auch den Klang deines Mic-Preamps an, ob er bspw. dumpf klingt, weil die Lautstärke ganz heruntergeregelt ist. Ist das der Fall, sollte man vielleicht den Fader des Audio-Kanals etwas herunterziehen und den Mic-Pre etwas aufdrehen, um zu sehen, ob das besser klingt, und dann einen Schritt weitergehen und sehen, wie das klingt. Auf diese Weise bekommst du ein Gefühl dafür, wo die Sweet-Spots sind, wenn du diese Dinge aufnimmst. Und dann probiert man verschiedene Mikrofonvorverstärker aus, um herauszufinden, wo die Sweet-Spots bei diesen sind usw.
Christoph (HOFA): Viele Leute gehen bei Aufnahmen heutzutage so vor, wie es in Zeitschriften oder im Internet gezeigt wird: Welches Mikrofon man am besten an welcher Position verwenden soll. Wenn man einen großartigen, unverwechselbaren Sound haben möchte, geht es meiner Meinung nach vor allem darum, die richtige Mikrofonposition zu finden. Vor allem Anfänger denken, dass das Equipment die entscheidende Rolle spielt, aber ich persönlich denke, dass es viel wichtiger ist, wo man das Mikrofon hinstellt, als welches Mikrofon man benutzt. Was ist Deine Meinung dazu?
Joe: Nehmen wir an, du machst ein Vocal-Recording und besitzt nur ein einziges Mikrofon: Wenn du die gleichen Vocals immer an der gleichen Position aufnimmst, werden sich bestimmte Frequenzen und damit die Klangfarbe des Mikrofons verstärken; aber wenn du die Dopplungen eine Handbreit weiter entfernt aufnimmst und das Mikrofon etwas zur Seite drehst, hat es auf einmal einen EQ für die Dopplungen eingebaut. Man kann den Sänger auch an einer anderen Stelle des Raums aufnehmen, die zum Beispiel reflektierender oder gedämpfter ist, um auf diese Weise verschiedene Klänge von einem einzigen Mikrofon zu erhalten. Man muss keine SSL-Konsole oder ähnliches besitzen, es geht vielmehr darum, seine Ohren zu benutzen, nicht seine Augen. Am Ende muss es nicht gut aussehen, es muss gut klingen.
Christoph (HOFA): Nimmst du beim Aufnehmen von Gitarren und Bässen normalerweise ein DI-Signal für das spätere Re-Amping auf?
Joe: Normalerweise nehme ich bei Gitarren-Aufnahmen kein DI-Signal auf, vielleicht in 90 % der Fälle; manchmal kommt es vor, dass ein Gitarrist darum bittet, um später noch ein paar Optionen zu haben, dann mache ich das natürlich.
Bass dagegen bekommt immer eine DI-Box, da diese für mich Teil des Sounds ist. Die Wahl der DI für den Bass-Sound ist eine Kunst für sich und kann sich von Song zu Song ändern, so wie man auch die Mikrofone für die Schlagzeug-Aufnahme für verschiedene Songs wechselt. Einige Bass-DIs klingen heller und schlanker, eher mittenbetont, andere klingen dichter und kraftvoller. Die Wahl der DI hängt dabei auch vom Song ab: Ein schneller, komplizierter Song wird wahrscheinlich keinen super-fetten DI-Sound brauchen, aber für einen langsamen R'n'B-Song könnte sich eine eher dichte, kraftvolle DI durchaus eignen. Und eventuell verwendet man diese etwas mehr im Mix als den Amp-Sound, sofern man überhaupt einen Amp im Mix hat ...
Ich verwende den Bass-DI Sound ziemlich oft in einer Mischung. Das ist dazu auch ein sehr sauberes Signal, dem man gut z.B. subharmonische Frequenzen hinzufügen kann, oder das sich gut für Re-Amping eignet, da es normalerweise nicht völlig übersteuert ist.
Christoph (HOFA): Verwendest du Re-Amping beim Mixing?
Joe: Ich persönlich versuche, ohne Re-Amping auszukommen, außer beim Bass: Ich verwende Re-Amping beim Bass in jedem Mix. Sogar bei Sachen, die ich selbst aufgenommen habe und von denen ich dachte, dass ich einen tollen Bass-Sound habe: Manchmal braucht es einfach ein bisschen extra “hair”. Es ist immer eingerichtet: eine DI-Box zu einem Verstärker und anschließend durch eine Palmer Speaker Simulation. Manchmal schalte ich auch ein Pedal dazwischen, wie zum Beispiel einen Tube Screamer, o.ä.
Gitarren re-ampe ich nur dann, wenn der Gitarrensound furchtbar ist oder wenn er zum Beispiel zu „fuzzy“ ist und cleaner sein soll. Es gibt Möglichkeiten, Sounds mit einem Plugin oder einem Pedal schmutziger zu machen, aber ein Signal zu säubern ist wirklich schwierig. An dieser Stelle kommt ein DI-Signal ins Spiel und ich würde es re-ampen, wofür alles Mögliche in Frage kommt, z. B. ein Verstärker oder eine Verstärkersimulation etc.
Christoph (HOFA): Wie findest du den richtigen Mitten-Sound für (verzerrte) Gitarren?
Joe: Das hängt zunächst einmal von den Monitoren ab, mit denen man abhört. Wenn man sehr mittenbetonte Monitore benutzt, muss man viele Mitten gehört haben, um zu wissen, ob die Aufnahme zu viele Mitten enthält. Zweitens: Stelle dich vor den Verstärker und höre, ob der Sound an sich schon gut ist. Wenn nicht, liegt es an der Position des Mikrofons. Manchmal verwenden die Leute zu viele Mikrofone und achten nicht auf die Phasenbeziehungen, wenn sie diese Mikrofone kombinieren, oder sie verwenden ein Interface, das die ankommende Lautstärke nicht bewältigen kann, weil es keinen Pad-Schalter am Mikrofoneingang hat etc.
Einen der besten Gitarrensounds habe ich mit einem Bändchenmikrofon bekommen, das ich etwa eine Stunde lang hin und her geschoben habe, und mir die Gitarrenriffs in den verschiedenen Songparts angehört habe – die Parts sagen dir, wie der Sound sein sollte: ein fetter Rhythmuspart sollte nicht wirklich dünn klingen, also musst du das Mikrofon bewegen, bis du diesen Sound einfängst, und ein cleaner Gitarrenpart sollte nicht zu viel Bass haben.
Wenn es um den Sound der Mitten geht, stellt sich die Frage: Was passiert um die Gitarre herum? Wenn eine eher mittige Gitarre mit einem eher tiefen Bass zusammenspielt, kann man mit etwas weniger Mitten auskommen, weil sie nicht mit dem Bass konkurrieren muss; wenn der Bass hingegen hell und aggressiv und mittig ist, braucht die Gitarre vielleicht keine Mitten und muss dunkler sein.
Christoph (HOFA): Kannst du ein paar Geheimnisse über den Bass-Sound von Tool verraten?
Joe: Ich sage dir Folgendes: Es handelt sich um einen großartigen Bassisten. Eine wahre Geschichte: Bei “10,000 Days” wollte er ein paar Sachen ausprobieren, und wir landeten bei ein paar Gallien-Krueger-Verstärkern, immer noch in Verbindung mit Mesa Boogie-Boxen, und die Amps klangen „killer“. Bei der nächsten Platte, an der ich gearbeitet habe, habe ich einen Gallien-Krueger-Amp ausgeliehen, um ihn ausuzprobieren, und ich kam nicht annähernd an den Bass-Sound heran, weil es nicht derselbe Bassist war. Es ist Justin Chancellor. Er ist ein wahnsinnig guter Bassist. Er hat einen tollen Sound, und der kommt aus seinen Fingern. Man hört es eine Million Mal, aber genau darauf kommt es an: Der Ton beginnt in den Fingern. Wenn die Quelle gut ist, kann man alles davorstellen, auch ein SM57, alles.
Ich habe Platten gemischt, bei denen ein großartiger Schlagzeuger sein Schlagzeug zuhause mit SM57s als Overheads aufgenommen hat, die niemand jemals als Overheads verwenden würde; aber mit einem großartigen Schlagzeuger, der den Klang des Beckens hört und weiß, wie man dieses Becken spielt, so dass es gut klingt – das zusammen ergibt einen großartigen Schlagzeugsound. Die Quelle ist also wirklich der wichtigste Teil.
Abschließende Worte / Ratschläge für angehende Produzenten
Joe: Aus pädagogischer Sicht würde ich sagen: Lerne so viel wie möglich über alles. Punkt. Je mehr du über Gitarrenverstärker weißt, dir Gitarrenverstärker anhörst, Gitarrenverstärker einstellst, Zeitschriften liest und mit den Werkzeugen, die du hast, experimentierst, desto besser. Und gehe immer wieder zu den Grundlagen zurück, denn du weißt nie, was dir entgangen ist. Nimm dir die Zeit, um mit diesen Dingen zu experimentieren und zu lernen, wie sie funktionieren, damit du in deinen Produktionen und in deiner Arbeit diese einzigartige Sichtweise einnehmen kannst, die dich von anderen unterscheidet. Lass dich von der Musik inspirieren, wenn du Musik hörst. Lerne alles, was du kannst – und dann vergiss alles, es gibt keine Regeln!
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Das vollständige Interview mit Joe Barresi findest Du auf unserem YouTube-Kanal:
Fotos: Joe Barresi / Danielle Hardy