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Apple Music & “Spatial Audio”: Hype oder Revolution?

Wie Apple am 17.05. per Pressemitteilung ankündigte, steht nun allen Abonnenten des Streamingdienstes seit dem 08.06. der gesamte Apple Music-Katalog in verlustfreier Qualität zur Verfügung – ohne Aufpreis wohlgemerkt! Diese für audiophile Kunden sehr erfreuliche Neuigkeit war dem kalifornischen Tech-Giganten aber offenbar noch nicht genug, denn darüber hinaus wurde zeitgleich die Unterstützung für das 3D-Format Dolby Atmos freigeschaltet! Was hat es damit auf sich?

„Spatial Audio“ verspricht eine neue Dimension des Musik-Genusses. Apple Music ist zwar nicht der erste Anbieter, der das Streaming von 3D-Musik ermöglicht, jedoch ist durch diesen öffentlichkeitswirksamen Schritt mit einer zunehmenden Verbreitung von Musik 3D in den nächsten Jahren zu rechnen. Die Bekanntgabe hat unter Musikfans und -schaffenden gleichermaßen für Furore gesorgt. Ist 3D-Audio wirklich gekommen, um zu bleiben? Ist die dritte Ton-Dimension ein revolutionärer Sprung oder nur ein weiterer kurzfristiger Hype?

Status Quo

Zum aktuellen Stand bieten neben Apple Music u.a. die Musik-Streamingdienste Amazon, Deezer, Tidal, sowie hierzulande eher unbekanntere Vertreter wie Hungama das Streaming in 3D an. Die Größe der angebotenen 3D-Kataloge unterscheidet sich jedoch noch sehr stark und meist ist dafür nach wie vor ein Aufpreis zum HD- oder Hi-Res-Abo notwendig. Die Markt-Riesen Spotify und YouTube sind derzeit noch nicht gefolgt, werden aber durch diese Entwicklungen natürlich unter Druck gesetzt.

Ein aktuelles iOS vorausgesetzt, ermöglichen alle aktuelleren iPhones, iPads und Apple TV 4K, sowie AirPods den Musikgenuss über das Atmos-Format. Besitzer von Beats-Kopfhörern oder Soundbars können sich ebenfalls vielfach ab sofort über den dreidimensionalen Musikgenuss freuen. Dolby Atmos ist also in vielen Haushalten bereits ohne Hardware-Anschaffung möglich. Auch Mobilgeräte von Samsung, Lenovo, Huawei, Nokia und Razer zählen zu den Geräten, auf denen Atmos konsumiert werden kann, jedoch steht hier die 3D-Unterstützung durch Apple Music noch aus.

Im Film- und Gaming-Sektor sind objektbasierte Tonprodukte schon länger gängig, im Musikbereich hielt man sich bisher aber noch bedeckt. Nur die Top-Themen der Majors produzieren schon seit einigen Jahren immer häufiger in Atmos, sodass viele aktuellere Veröffentlichungen bereits im Atmos-Format vorliegen. Außerdem wurden in den letzten Jahren zahlreiche Originalaufnahmen zeitloser Klassiker (z. B. Beatles, Herbie Hancock etc.) als Atmos-Version veröffentlicht. An Content fehlt es also nicht und es ist in nächster Zeit mit einem weiteren Zuwachs der 3D-Kataloge zu rechnen.

Aber was ist eigentlich anders an „Spatial Audio?“ Nun ja, es ist dreidimensional, d. h. Signale können nicht nur auf der Stereobühne zwischen rechts und links, sondern auch seitlich, hinten, oben oder unten platziert werden. Oft ist der Unterschied für Laien eher subtil und nur im Direktvergleich offensichtlich, solange diese Möglichkeiten nicht zu Effektzwecken überreizt werden. Mit einer guten Atmos-Mischung geht jedoch ein erhöhter Grad an sogenannter „Immersivität“ einher, der Hörer fühlt sich also stärker „in der Musik“ als beim Konsum einer herkömmlichen Stereomischung.

Wie funktioniert’s?

Herkömmliche Audioformate funktionieren kanalbasiert, das heißt jeder Lautsprecher bekommt eine eigene Tonspur zugewiesen. Es gibt einen Kanal für Mono, zwei für Stereo, 4 für 4.0, 6 für 5.1, 8 für 7.1 usw. Das funktioniert super, setzt allerdings voraus, dass Konsumenten dieselbe Lautsprecheraufstellung verwenden. Bei Mono war das noch unproblematisch, weil im Grunde egal ist, wo sich der Lautsprecher befindet. Bei Stereo ist das auch noch machbar, denn ein mehr oder weniger gleichseitiges Dreieck lässt sich beinahe in jedem Wohnzimmer gut integrieren. Kommen aber Surroundformate ins Spiel, wird es schon schwieriger, da stehen die Surroundlautsprecher aus Platzmangel schon gerne mal seitlich oder gar in falscher Reihenfolge verteilt – das war es dann mit dem schönen 3D-Erlebnis … Und kommen dann noch Deckenlautsprecher dazu, hängt häufig angesichts des baulichen und finanziellen Investments in Wandler, Lautsprecher und Verstärker der Haussegen schief. Und mobil sind diese Systeme schon gar nicht. Kurz: Surround ist super, aber eben nur bedingt alltagstauglich.

Dolby Atmos ist dagegen ein objektbasiertes Tonformat. Ein solches arbeitet zwar auch mit Audiospuren; diese werden allerdings keinem fixen Lautsprecher zugeordnet, sondern mittels implementierter Koordinaten in einem virtuellen Raum platziert. Zu jedem Objekt gehören also Metadaten, die gemeinsam mit dem Audiosignal übertragen und vom Abspielgerät für die jeweilige Abhörsituation passend decodiert werden. Bis zu 118 solcher Objekte können in einer Atmos-Mischung unabhängig platziert werden. Die Trennung von Signal und Lautsprecher ermöglicht ein dreidimensionales Tonerlebnis, das mehr oder weniger unabhängig von der Lautsprecheranzahl und -aufstellung funktioniert. Eine Atmos-Mischung kann also auf so ziemlich allen Lautsprecherkombinationen von der heimischen HiFi-Anlage bis zum Kinosaal abgespielt werden und die Schallquellen werden anhand der Metadaten beim Abspielen bestmöglich auf die vorhandenen Lautsprecher verteilt.

Auf Kopfhörern funktioniert die Wiedergabe ebenfalls, hier spricht man dann von „binauralisieren.“ Das Ergebnis kommt mit nur zwei Kanälen aus, die getrennt auf die zwei Ohren treffen. Das klingt toll, bedeutet aber auch, dass man sich für den 3D-Genuss auf Kopfhörern den Umweg über ein objektbasiertes Streaming-Format getrost sparen und direkt einen binauralen Mix bereitstellen kann. Eine vollständig binaurale Mischung ist allerdings nur bedingt mit Lautsprechern kompatibel, was natürlich eine Einschränkung darstellt.

Neben Dolby Atmos gibt es noch weitere Tonformate, die objekt- bzw. richtungsbasiert arbeiten: Sony 360 Reality Audio, DTS:X oder Ambisonics zählen zu den stärker verbreiteten. Atmos hat in Konsumentenkreisen in diesem Rennen allerdings derzeit deutlich die Nase vorn.

Ist die Zukunft 3D?

Machen wir uns nichts vor: Immer wieder kamen in den vergangenen Jahrzehnten neue Formate auf den Markt, die sich nach einem kurzfristigen Hype nicht langfristig durchsetzen konnten. Ein gesunder Zweifel ist also nicht unbegründet. Was sollte diesmal anders sein?

Nun, historisch betrachtet scheiterten die meisten Formate vor allem an einer verhältnismäßig hohen Komplexität, hohen Anschaffungskosten oder fehlenden Vertriebsstrukturen. Eine Medientechnologie kann noch so beeindruckend sein, wenn sie für Verbraucher*innen nicht praktikabel, komfortabel und vor allem bezahlbar ist, wird sie kaum langfristig Fuß fassen können. Nun scheinen die kritischen Punkte im Falle von Atmos aber gelöst zu sein: In den meisten Fällen ist keine technische Anschaffung nötig, die notwendige Lernkurve für den Konsum ist gleich null, es gibt mittlerweile auch nicht wenig Content und seit Neuestem bieten einige der größten Streaming-Anbieter das Ganze auch noch ohne Aufpreis an. Für viele HörerInnen ist das 3D-Erlebnis also nur noch einen Klick entfernt. Die Frage ist also im Grunde nur: Wird geklickt? Danach wird sich letztendlich entscheiden, ob die zusätzliche Investition in 3D-Content sich für Labels, Studios, Produzent*innen und Künstler*innen bezahlt macht – it’s business after all! Das heißt aber auch: Es liegt in unserer Hand. Sowohl Apple als auch die Major Labels scheinen jedenfalls daran zu glauben.

Wie schätzt du die aktuelle Entwicklung ein? Glaubst du, dass sich Musik in 3D langfristig als zweiter oder vielleicht sogar einziger Standard durchsetzen wird? Hörst du selbst Musik in 3D oder bevorzugst du die traditionelle Stereomischung?

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Autor

Christoph Thiers
Christoph Thiers
Christoph Thiers ist seit über 15 Jahren in der Musikbranche tätig und hat hunderte Produktionen verschiedenster Genres als Recording, Mixing und Mastering Engineer begleitet. Zu seiner breit gefächerten Vita zählen Künstler wie Die Fantastischen Vier, Sarah Connor, Birdy, Nathan Evans, RAF Camora und Boris Brejcha, sowie zahlreiche Auszeichnungen und Chartplatzierungen. Neben Musikproduktion und Studio Management beschäftigt er sich u.a. mit neuen Medienformaten und Artist Development, berät Indie Labels, Künstler und Startups und war an mehreren Software Entwicklungen für die professionelle Musikproduktion beteiligt. In den letzten Jahren hat sich Christoph verstärkt auf immersive Musikproduktion spezialisiert und betreut u.a. Dolby Atmos Mixes für internationale Labelkunden und namhafte Indie Artists.

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