Das Zeitalter der immersiven Musikproduktion hat begonnen und nimmt merklich Fahrt auf. Rund 75% der Apple Music Top 100 Global Charts sind bereits in Dolby Atmos verfügbar und selbst zahlreiche Katalogveröffentlichungen werden nach und nach in moderne Formate übertragen. Parallel dazu steigen Angebot und Nachfrage nach XR-Anwendungen und Metaverse-Experiences, die ebenfalls zunehmend musikalische 3D-Inhalte fordern. Die nötigen Tools werden glücklicherweise immer einfacher und zugänglicher, die Hürden bei Distribution und Wiedergabe, mit denen 3D-Audio-Macher in den letzten Jahren zu kämpfen hatten, sind allmählich gefallen und demzufolge sind auch immer mehr Musiker:innen und Produzent:innen geneigt, ihre Kreativität endlich auf allen drei Dimensionen auszuleben.
Um das volle Potenzial von 3D-Audio auszuschöpfen, ist es ratsam, schon bei der Produktion und Aufnahme die Möglichkeiten der größeren Bühne in Betracht zu ziehen. So kann es z.B. interessant sein, Elemente dramaturgisch hinter oder über der Hörposition zu platzieren, was mitunter deutlichen Einfluss auf das Arrangement eines Stücks hat. Auch tontechnisch betrachtet haben wir statt einer eindimensionalen Achse (Stereo) durch den Schritt zu immersiven Tonformaten gleich 2 Raumachsen dazu gewonnen und damit deutlich mehr “Leinwand” auf der unsere Musik stattfinden kann. Mit diesem Beitrag möchte ich das Mixing mal beiseite lassen und dir stattdessen eine Hilfestellung geben, wie man ein musikalisches Geschehen in 3D aufnehmen kann.
Übrigens: Falls dir kein immersives Lautsprecher-Setup zur Verfügung steht, lassen sich eigentlich alle Formate (Dolby Atmos, Sony 360 RA, Auro 3D, Ambisonics, usw.) auch auf handelsüblichen Kopfhörern binaural abhören.
Direktmikrofone
Nur weil wir ein immersives Musikstück produzieren, heißt das natürlich nicht, dass wir alles bislang Gelernte über Bord schmeißen! Ganz im Gegenteil: Eine dreidimensionale Mischung stellt mehr als genug Platz zur Verfügung, um Monosignale freizügig im Raum zu platzieren. Das heißt konkret: All deine Lieblingsmikrofone und -Techniken können selbstverständlich auch weiterhin eingesetzt werden. Es bleibt dabei dir überlassen, ob du deine Monoquellen in der Mischung als Objekt platzieren oder einem Bed zuordnen möchtest und auch die Größe der Schallquelle im 3D-Raum kannst du frei bestimmen.
Tonschaffende setzen schon seit langer Zeit zusätzlich zur nahen Mikrofonierung der einzelnen Instrumente(-ngruppen) auch entferntere Mikrofonpositionen ein, um den Diffusschall des Raums einzufangen. Solche verteilten Raummikrofone können ebenfalls als Mono-Spots verstanden und nach Belieben im dreidimensionalen Raum der Mischung verteilt werden, diesbezüglich ändert sich also nicht viel. Wer in 3D produziert, stellt jedoch fest, dass man mitunter sehr viele solcher Spots in einer immersiven Mischung unterbringen kann, um eine plastische Räumlichkeit mit Realismus einzufangen. Das bedeutet übrigens nicht, dass die Anordnung im Raum der Anordnung im Mix entsprechen muss, man hat diesbezüglich tatsächlich viele Freiheiten. Für Raum-Mikrofone gilt grundsätzlich: Je indirekter das Klangbild, desto besser. Bei einer Fülle an 3D-Raum-Spot können übrigens auch billige Mikrofone eingesetzt werden, denn auf Klangqualität kommt es hier nicht wirklich an, die Masse macht bei dieser Technik die Umhüllung.
Am besten werden verteilte Mono-Mikrofone in einer 3D-Produktion aber natürlich noch durch Stereo-, Surround- und 3D-Mikrofonierungen ergänzt, diese wollen wir im Folgenden behandeln.
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Stereo-Mikrofonierungen
Auch Stereomikrofonierungen dürften den meisten Leser:innen nicht unbekannt sein, schließlich stellen sie seit Jahrzehnten eine wichtige Recording-Grundlage dar und werden z.B. als Haupt- oder Raummikrofonierung oder auch direkt am Instrument eingesetzt. Es gibt Stereoanordnungen, die auf Laufzeitdifferenzen basieren (z.B. AB), andere, die sich die Pegelunterschiede zwischen zwei gerichteten Mikrofonkapseln zunutze machen (z.B. XY), solche, die beides kombinieren (z.B. ORTF) und sogar solche, die mit physischen Barrieren zwischen den Mikrofonen arbeiten (z.B. Kunstkopf).
Wer bislang Stereomikrofonierungen eingesetzt hat, darf selbstverständlich gerne bei den bewährten Anordnungen bleiben und diese nach Belieben im 3D-Mix platzieren. 3D-Audio ermöglicht jedoch zusätzlich durch die zusätzlichen Raumachsen eine neue Denkart der Stereomikrofonierung. Insbesondere die Höhenachse bietet eine völlig neue kreative Möglichkeit an, Stereo einzusetzen: Man muss das Array nur um 90° drehen, um nicht die Rechts-Links-, sondern die Oben-Unten-Achse aufzuzeichnen.
Besonders toll eignen sich hierfür Instrumente, die von Natur aus eine ausgeprägte Höhenachse besitzen, auf der mehrere gewünschte Klanganteile abstrahlen, beispielsweise Kontrabass oder Cello. Aber auch eine bewegte Fiddle-, Saxofon- oder Flötenperformance kann durch eine Stereofonie der Höhenachse eine völlig neue Lebendigkeit und Plastizität erhalten. Bedenke, dass durch “Hochkant-Stereofonie” unter Umständen Boden- und Deckenreflexionen eine größere Rolle spielen.
Surround-Mikrofonierung
Surround-Arrays wurden bislang in der Musikproduktion eher selten eingesetzt und waren eher im filmischen und filmmusikalischen Kontext, bei Konzertmitschnitten u.ä. zuhause. 3D-Audio beinhaltet aber natürlich auch Surround-Inhalte, die für sich genommen keine Höhenachse besitzen. Surroundaufnahmetechniken fangen mit relativ geringem Aufwand ein sehr nützliches, zweidimensionales Raumsignal ein, das eine super Grundlage für eine immersive Tonmischung bildet. Genau wie bei Mono und Stereo können diese im Mix bei Bedarf durch Höhenanteile ergänzt werden.
Grundsätzlich kommt jede Surroundmikrofonierung für deine 3D-Produktion in Frage – und davon gibt es einige! Ich kann zum Beispiel das IRT-Kreuz empfehlen, um eine quadrofone Basis auf relativ kleinem Raum zu installieren. Eine gute Wahl für “kleines Besteck” ist auch die Double MS-Anordnung, die mit lediglich drei Mikrofonen und einer erweiterten MS-Matrix auskommt. Vor allem bei großen Sälen und Besetzungen solltest du aber unbedingt mal ein Hamasaki-Square oder auch einen Decca-Tree mit Surround-Outriggern ausprobieren, denn der große Abstand zwischen den Mikrofonen und die damit einhergehenden Laufzeitdifferenzen sorgen für eine sehr angenehme und natürlich anmutende Umhüllung.
Egal ob du mit einem Surround-Setup für 4.0, 5.0 oder auch 7.1 arbeitest – du kannst die resultierenden Signale einfach direkt auf die dafür vorgesehenen Kanäle des Beds legen oder eine flexiblere Anordnung in Form von Objekten wählen. Surround Arrays eignen sich super als Haupt- oder Raummikrofonierung.
3D-Mikrofonierung
Über die Jahre haben sich Tonmeister:innen viele Mikrofonanordnungen überlegt, die auch die dritte Raumachse miteinbeziehen. Meist handelt es sich um eine Weiterentwicklung einer bereits bekannten Surround- oder Stereo-Anordnung. Beispiele hierfür sind etwa ORTF-3D, ESMA-3D oder der Hamasaki Cube. All diese Anordnungen machen einen guten Job und der Klangcharakter der Arrays ist mit ihren Stereo- und Surround-Verwandten vergleichbar, was es erfahrenen Tonmeister:innen relativ einfach macht, die Klangästhetik einzuschätzen und die Arrays gezielt einzusetzen.
3D-Arrays bringen jedoch logistische Nachteile mit sich, denn meistens werden gleich 8 baugleiche Mikrofone mit sehr hoher Bauqualität und geringen Toleranzen benötigt, was sich natürlich als hoher Kostenpunkt niederschlägt. Außerdem ist man eine ganze Weile mit dem Aufbau und Ausmessen dieser Arrays beschäftigt, insbesondere wenn es sich um größere Distanzen handelt (wie etwa bei Hamasaki). Kleinere Anordnungen wie z.B. ORTF-3D lassen sich aber auch als Festinstallation in einem Windkorb transportieren.
Ambisonics-Mikrofone
Ambisonic-Mikrofone sind fertige 3D-Mikrofon-Arrays. Es gibt sie in unterschiedlichen Ordnungen, die mit unterschiedlicher Kanalanzahl einhergehen und unterschiedliche spatiale Auflösungen besitzen. First-Order Ambisonics (kurz FOA) besitzt beispielsweise 4 Kanäle, während Third-Order Ambisonics bereits 16 Kanäle benötigt.
Die genau kalibrierten Kapseln zeigen in unterschiedliche Richtungen und zeichnen die komplette 3D-Sphäre gleichberechtigt auf. Nach der Aufzeichnung ist in der Regel zuerst eine Konversion in das B-Format notwendig, danach können “Blickrichtung” und Richtwirkung des Mikrofons in der Postproduktion frei bestimmt werden. Die Matrizierung ist aufgrund der höheren Kapselanzahl relativ komplex, wer jedoch mit der Arbeitsweise einer MS-Matrix vertraut ist, kann sich Ambisonics wie eine große Schwester davon vorstellen.
Das elegante an Ambisonics ist nicht nur die komplette 360°-Aufnahme, sondern auch der Umstand, dass man Ambisonics-Signale in eine beliebige Lautsprecheranordnung umrechnen kann. Möchtest du also beispielsweise ein Ambisonics-Signal in eine Dolby Atmos-Mischung einbetten, kannst du das als 7.1.2 Bed oder auch in Form beliebig vieler Einzelobjekte tun (diese agieren dann sozusagen als virtuelle Lautsprecher).
Durch die Kombination mehrerer Ambisonics-Mikrofone lassen sich übrigens besonders beeindruckende Ergebnisse erreichen. So kann man beispielsweise eine Art dreidimensionale AB-Mikrofonierung aus 2 Ambisonics-Mikrofonen bauen, wobei jedes der beiden Mikrofone für jeweils eine Halbkugel zuständig ist. Dies kombiniert die dreidimensionale Abbildung mit den klanglichen Vorzügen der Laufzeitstereofonie. Ein anderes Beispiel ist ein 6DoF-Array (“6 degrees of freedom”) – hierbei handelt es sich um ein Setup aus vielen baugleichen Ambisonics-Mikrofonen, die durch eine digitale Software-Matrix zu einer interaktiven 3D-Audio-Szene zusammengesetzt werden, die es dem Hörer erlaubt, sich frei durch die Szenerie zu bewegen.
Fazit
Egal ob du deinen nächsten Song als binaurale 3D-Version, in Dolby Atmos oder Sony 360RA veröffentlichen willst, oder ob an einem neuen VR-Spiel oder der nächsten Metaverse-Experience bastelst: Die Audio-Zukunft ist dreidimensional und es lohnt sich, dies bereits bei der Produktion zu berücksichtigen. Ich hoffe, dass dir dieser Artikel ein paar nützliche Ansatzpunkte und Ideen für deine nächste Produktion gibt und wünsche dir viel Spaß beim Ausprobieren!
Hast du auch schon Erfahrungen mit 3D-Aufnahmen gemacht, Tipps oder auch Fragen zum Thema? Teile deine Gedanken in den Kommentaren!
2 Antworten
Lieber Christoph Thiers, danke für den schönen Artikel besonder hat mich gefreut dass Sie die HOA A B Mikrophonierungstechnik erwäht haben welche ich mit meinen Kollegen Jack Kelly und Wieslaw Woszczyk entwickelt habe.
F. Grond, J. Kelly, and W. Woszczyk. Spaced A-B placements of higher-order Ambisonics microphone arrays: Techniques for recording and balancing direct and ambient sound. Acoustical Science and Technology, 43(2):131–142, 2022. doi: 10.1250/ast.43.131.
Mit den Richtmikrofonen werden alle Geräusche im Zentrum des Raumes Aufgefangen, wäre es nicht besser die Geräusche an den Wänden des Raumes aufzunhemen, sowie Decke und Boden? Eventuell + die Zentren des Raumes?