Fernschule für Tontechnik & Musikproduktion

Erfolgreich als Musikproduzent und Audio Engineer trotz Blindheit

Gastbeitrag von Florian Schmitz, Audio Engineer und HOFA-College Absolvent

Erfolgreich als Musikproduzent und Audio Engineer trotz Blindheit – das war mein erklärtes Ziel, welches ich mir im Sommer 2007 nach meinem Schulabschluss gesteckt hatte.
Ob ich dieses Ziel erreicht habe und noch einiges mehr, erfährst Du in diesem Beitrag.

So kam ich zur Musikproduktion

Als wir das erste Mal mit unserer Band im Tonstudio waren, um eine CD zu produzieren, hat mich die Faszination gepackt. Damals war ich Bassist, spielte aber auch Schlagzeug, und Percussion und habe einiges mit Synthesizern ausprobiert. Das war im Jahr 2005.
Die Arbeit in diesem Tonstudio hat dann mein Interesse an der technischen Seite der Musik geweckt. Seither habe ich mich intensiv mit den Themen Musik- und Audioproduktion und der dazugehörigen Technik auseinandergesetzt.

Aber aller Anfang ist schwer.
Da ich schon seit meiner Kindheit nur noch einen kleinen Sehrest hatte, traf diese Aussage bei mir erst recht zu. Zu der damaligen Zeit war es, zumindest im deutschsprachigen Raum, nicht vorgesehen, als Blinder oder Sehbehinderter im Tonstudio zu arbeiten. Die allermeisten DAWs waren schlichtweg nicht mit einem Screen-Reader, wie VoiceOver unter macOS zugänglich.

Florian Schmitz im Schlafzimmerstudio

Die ersten eigenen Produktionen

Anfang 2008 begann ich mit macOS zu arbeiten und bin bis heute dabei geblieben.

Ein Jahr später kaufte ich mir einen Mac Pro, richtete mir diesen mit VoiceOver ein und baute mir langsam mein eigenes kleines Tonstudio auf.
Was bei anderen in der Garage oder im Keller begann, begann bei mir in meinem damaligen Schlafzimmer.
Anfangs versuchte ich mich an Cubase, das war zwar nicht so gut zugänglich, aber es war immerhin besser bedienbar als Pro Tools oder Ähnliches.
Ich konnte die DAW mit einer Mischung aus VoiceOver, Tastaturbefehlen, einem MIDI-Controller und teilweise enorm großer Vergrößerung bedienen. Leider fiel letzteres dann mit Schwinden meines Sehrestes weg.

Mit Cubase konnte ich 2009 erste Film-Musiken für ein paar Projekte und Dokus produzieren. Außerdem arbeitete ich an eigenen Projekten. Ich habe unheimlich viel Erfahrung sammeln können, aber wollte mehr, wollte noch viel weiter kommen. Einen Ausbildungsplatz zu finden war aber ein Ding der Unmöglichkeit. Niemand konnte sich vorstellen, dass ein Blinder im Tonstudio arbeiten könnte. Eigentlich völlig absurd, aber leider wahr. Die „beste“ Begründung war, dass ich die rote Lampe („On Air“) nicht sehen konnte. Heute kann ich darüber lachen. Damals nicht. Doch ich ließ nicht locker. Ich hatte mir das Ziel gesetzt Audio Engineer zu werden und wollte alles dafür geben, dieses Ziel zu erreichen.

Ende 2010 stieß ich dann im Internet auf HOFA und das HOFA-College.

Ausbildung für Blinde im Bereich Tonstudiotechnik und Musikproduktion

Ich erkundigte mich bei HOFA nach dem Pro-Kurs. Zwar hatte man hier auch keinerlei Erfahrung mit blinden Teilnehmern, aber ich bekam die Chance es zu probieren. Den Fernkurs zum Audio Engineer begann ich dann Anfang 2011. Normalerweise sind für den Kurs 12 Monate angesetzt, doch alleine die Entwicklung eigener Herangehensweisen in der DAW hat viel Zeit gekostet.

Zwischendurch bin ich dann auch noch von Cubase auf Pro Tools umgestiegen, weil Pro Tools dann mit VoiceOver bedienbar wurde, musste mich also auch noch in die neue DAW einarbeiten. Hinzu kam, dass gleichzeitig die Einarbeitung mit meinem Blindenführhund anstand. Alles in allem habe ich dann 24 Monate für den Fernkurs gebraucht.

Blindenführhund im Musikstudio – Foto: Oliver Bellendir Photography

Und Anfang 2013 hatte ich dann endlich mein Zertifikat als Audio Engineer in Händen. Wenn ich daran zurückdenke, bekomme ich noch immer ein wenig Gänsehaut. Ich habe gekämpft, probiert, bin gescheitert, habe weitergemacht, geackert und geschwitzt und bin unendlich stolz, dass ich es geschafft habe.

Heute bin ich jemand, der anderen Blinden, aber auch einigen Sehenden zeigt und erklärt, wie man mit macOS und beispielsweise Pro Tools im Bereich Musik- und Audioproduktion arbeiten kann. In vielen Situationen ist es sogar von Vorteil, den Bildschirm, die Grafiken und z. B. die EQ-Kurven in der DAW nicht zu sehen. Hören ist meiner Meinung nach dabei viel wichtiger.

Inzwischen ist aus dem kleinen Schlafzimmer-Tonstudio ein „richtiges“, professionelles Tonstudio geworden.

Vocalrecording im audiacc-Studio – Foto: Oliver Bellendir Photography

Mein Fazit: Wer wirklich den Willen hat, solch ein Ziel zu erreichen, der kann das mit genügend Ehrgeiz, Fleiß und Durchhaltevermögen schaffen.

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Autor

Florian Schmitz
Florian Schmitz
Gastautor Florian Schmitz hat Anfang 2013 als erster blinder Teilnehmer seine Ausbildung als Audio Engineer am HOFA-College abgeschlossen. Im Anschluss hat er sich mit seiner eigenen Firma „audiacc“ als Toningenieur selbstständig gemacht und unterstützt Musiker, Bands, Podcaster und weitere Ton-Schaffende bei ihrer Arbeit.

2 Antworten

  1. Ein ganz wunderbares Beispiel dafür, was inspirierte Menschen trotz einer scheinbar unüberwindbaren Hürde schaffen können. Das gibt Mut und Zuversicht in diesen Tagen und zeigt auf äußerst eindrucksvolle Art, was Menschen erreichen können wenn sie selber es sich zutrauen und wenn Ihnen Möglichkeiten und Ermutigung gegeben werden dies auch umzusetzen. Vielen Dank für diesen ermutigenden und inspirierenden Beitrag!

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